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Gelächter, das die Mauern überwindet – eine Rezension

Veröffentlicht am Oktober 14, 2020 

Vor 40 Jahren kam es in der Türkei zu einem Militärputsch, davor und danach landeten unzählige politische AktivistInnen in den Kerkern der türkischen (Militär-)Justiz. Vom Leben und Überleben in der damaligen Zeit erzählen die 17 Geschichten Güvenlis. Erst 2018 erschien die Sammlung von Erzählungen der 1957 am Schwarzen Meer geborenen Autorin auf Türkisch und dieses Jahr im Duisburger Verlag Trikont dann auch auf Deutsch.

 

Der Spott, das Lachen sind in ihrer Tendenz subversiv. Der Spott und das Lachen entlarven die aufgeblasenen, sich selbst so mächtig fühlenden Schergen eines brutalen Regimes. Davon berichten in teils sehr zarten und dann auch wieder in einer geradezu lakonisch vorgetragenden Brutalität die Erzählungen Güvenlis. Beispielsweise der „Falaka“, den systematischen Schlägen auf die nackten Fußsohlen (S.91) zur „Begrüßung“ nach der Einlieferung in das Gefängnis. Dem Einzwängen des Körpers in einen Autoreifen (S.93) – und wie sie dann in ihrer Gemeinschaftszelle über ihre erlittenen Folterungen in einer Weise den Gefährtinnen berichten, die alle in ein „allgemeines Gelächter“ (S.93) ausbrechen lässt, welches allen gut tat. Und andererseits das Gefängnispersonal wahlweise ratlos oder wütend machte. Es scheint so, als könnten Wärterinnen und Wärter es eher ertragen, beschimpft oder körperlich attacktiert als verspottet und ausgelacht zu werden.

 

In der Erzählung „Ich zünde mich an“ (S.55 ff.) berichtet die Autorin darüber, wie trotz des „Besuchsverbots“, immer wieder wurden willkürlich für Tage, Wochen und Monate jegliche Besuche in den Gefängnissen verboten, es Nesrin gelang, ihre inhaftierte Schwester Neslihan dennoch zu besuchen. Wie die Angehörigen täglich vor den Toren des Gefängnisses erschienen, protestierten und mit einem Trick, der hier nicht verraten werden soll, um die Lesefreude nicht zu schmälern, dann doch der Besuch möglich wurde und die beiden Schwestern sich dann lachend einander gegenüber saßen – wenn auch nur für ein paar Minuten.

 

Wesentlich für die damalige Situation war die gemeinschaftliche Unterbringung der Gefangenen in großen Zellen.

Bekanntermaßen begann in den 90ern die Türkei, in Anlehnung an den berüchtigten Stammheimer Gefängnisbau, neue Haftanstalten zu errichten, welche die totale Isolation und Abschottung der Insassinnen und Insassen untereinander ermöglichten – trotz des mutigen Widerstandes vieler politischer Gefangener, trotz unzähliger Toter im Zuge der Hungerstreiks, die sich gegen den Bau der neuen Haftanstalten richteten.

Die Geschichten Güvenlis geben Zeugnis von der gelebten Solidarität der Inhaftierten untereinander, trotz aller Streitigkeiten und Uneinigkeiten, die es auch immer gab. Verbindendes Element waren die politischen Kämpfe, die zur Inhaftierung führten und dann der stolze, mutige und immer wieder auch humorvolle Umgang mit den täglichen, schikanösen Zellenfilzungen, Erniedrigungen und Folterungen.

 

Die 17 Geschichten durchzieht jedoch immer auch das Lachen.

Dessen befreiende und von dem konkreten Erlebnis distanzierende, aber die Gemeinschaft stärkende Kraft!

 

Thomas Meyer Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

http://www.freedom-for-thomas.de

Bibliografische Angaben zu dem hier rezensierten Buch:

Autorin: Asiye Müjgan Güvenli

Titel: „Gelächter, das die Mauern überwindet“

Seiten: 106

Verlag: TRIKONT DUISBURG&DIALOG-EDITION (Duisburg)

ISBN: 978-3-945634-23-3

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